Anfechtung von Willenserklärungen:

 

Gemäß § 119 Abs. 1 BGB kann der Erklärende seine Willenserklärung anfechten, wenn nachweisbar entweder ein Erklärungsirrtum oder aber ein Inhaltsirrtum vorgelegen hat.

 

 

Erklärungsirrtum:

Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand der Erklärung nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Beispielsweise ist dies gegeben, wenn sich der Erklärende verspricht oder verschreibt bzw. in einem Ladengeschäft vergreift.

 

 

Inhaltsirrtum:

Demgegenüber liegt ein Inhaltsirrtum vor, wenn zwar der äußere Tatbestand der Erklärung dem Willen des Erklärenden entspricht, dieser aber über die Bedeutung oder Tragweite der Erklärende irrt. 

 

            „Der Erklärende weiß, was er sagt, er weiß aber nicht, was er damit sagt.“

 

 

Beispiel:

 

Verkauf des Grundstückes mit der Flurbuchbezeichnung X in der Annahme, Vertragsgrundstück sei das Nachbargrundstück Y.

 

 

Kalkulationsirrtum:

Beim Kalkulationsirrtum wird zwischen dem verdeckten und dem offenen Kalkulationsirrtum unterschieden.

 

 

Verdeckter Kalkulationsirrtum:

 

Wird dem Geschäftspartner lediglich das Ergebnis einer Berechnung, nicht aber die Kalkulation selbst mitgeteilt, stellen etwaige Berechnungsfehler einen unerheblichen Motivirrtum dar. Ein verdeckter Kalkulationsirrtum begründet also kein Anfechtungsrecht.

 

 

Offener Kalkulationsirrtum:

 

Beim offenen Kalkulationsirrtum wird – anders als beim verdeckten Kalkulationsirrtum – die fehlerhafte Kalkulation ausdrücklich zum Gegenstand der Vertragsverhandlungen gemacht. 

 

Die Lösung in diesem Falle ist streitig.

 

Gegebenenfalls kann die Auslegung der Willenserklärung ergeben, dass die Parteien als Preis nicht den ziffernmäßig genannten Endbetrag, sondern die falsch addierten Einzelbeträge vereinbaren wollten. Maßgeblich wäre dann der richtig kalkulierte Betrag. 

 

Gegebenenfalls führt die Auslegung auch zu dem Ergebnis, dass der ziffernmäßig festgelegte Endbetrag und die Berechnungsgrundlagen den gleichen Stellenwert haben; dann wäre der Vertrag wegen des bestehenden Widerspruches unwirksam.

 

 

Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache/Person:

Gemäß § 119 Abs. 2 BGB kommt auch die Anfechtung einer Willenserklärung dann in Betracht, wenn der Erklärende sich über solche Eigenschaften der Person oder der Sache geirrt hat, die im Verkehr als „wesentlich“ angesehen werden.

 

Bei einem solchen Eigenschaftsirrtum stimmen – anders als beim Erklärungsirrtum oder Inhaltsirrtum – der Wille und die Erklärung überein. Der Erklärende irrt nicht über die Erklärungshandlung oder den Erklärungsinhalt, sondern über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes.

 

Ein Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften der Person kommt insbesondere dann in Betracht, wenn sich der Vertragspartner über Eigenschaften des Geschäftsgegners irrt. 

 

 

Beispiel:

 

-        Irrtum über einen erfolgreichen Studienabschluss des Bewerbers

-        Beauftragung eines Fachbetriebes und Irrtum darüber, dass der Fachbetrieb tatsächlich gar nicht in die Handwerksrolle eingetragen

         ist.

 

In Betracht kommt auch eine Anfechtung bei Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache. 

 

 

Beispiele:

 

-        Größe eines gekauften Grundstückes

-        Herstellungsjahr einer Immobilie

-        Bebaubarkeit eines Grundstückes

 

 

 

Motivirrtum:

Bei einem Motivirrtum liegt ein Irrtum des Erklärenden im Beweggrund seiner Erklärung vor.

 

Ein solcher Motivirrtum begründet grundsätzlich kein Anfechtungsrecht.

 

 

Beispiel:

 

-        Irrtum über den Wert einer Sache

-        Verdeckter Kalkulationsirrtum

-        Abschluss eines Darlehensvertrages und anschließend gescheitertem Grundstückskaufgeschäft 

 

 

Anfechtungsfrist:

Gemäß § 121 Abs. 1 BGB muss eine Anfechtung im Falle eines Inhaltsirrtums, Erklärungsirrtums oder Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft „ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich)“ erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat.

 

Die Frist zur Anfechtung beginnt somit erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der Anfechtende Kenntnis von dem Anfechtungsgrund hat, also des Irrtums (§ 119 BGB). 

 

Bloßes Kennenmüssen genügt nicht. Auch das Vorliegen von Verdachtsgründen genügt nicht.

 

Kennt der Anfechtungsberechtigte allerdings den Anfechtungsgrund, muss die Anfechtung unverzüglich erfolgen. Sie muss nicht sofort, aber ohne schuldhaftes Zögern erfolgen, d.h. innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungsfrist. Soweit erforderlich, darf beispielsweise der Anfechtungsberechtigte vor der Anfechtung den Rat eines Rechtskundigen (z. B. eines Rechtsanwaltes) einholen. 

 

Obergrenze ist in der Regel eine Frist von 2 Wochen.

 

Dabei erfolgt die Anfechtung unter Abwesenden rechtzeitig, wenn gemäß § 121 Abs. 1 S. 2 BGB der Anfechtende die Anfechtungserklärung unverzüglich abgesendet hat. Verzögerungen bei der Übermittlung gehen dann zu Lasten des Anfechtungsgegners.

 

Wirksam wird die Anfechtung aber erst mit Zugang der Anfechtungserklärung bei dem Empfänger.

 

Wenn seit der Abgabe der Willenserklärung 10 Jahre verstrichen sind, ist jedoch in jedem Falle – unabhängig vom Zeitpunkt der Kenntniserlangung – gemäß § 121 Abs. 2 BGB die Anfechtung ausgeschlossen.

 

 

Beweislast: 

 

Der Anfechtungsberechtigte muss den Anfechtungsgrund darlegen und unter Beweis stellen. Er muss also das Vorliegen des Irrtums, den Ursachenzusammenhang zwischen Irrtum und Erklärung beweisen und im Bestreitensfalle darlegen und beweisen, dass er die Erklärung bei verständiger Würdigung nicht abgegeben hätte.

 

Will sich der Anfechtungsgegner darauf berufen, dass die Anfechtung verspätet erfolgt ist, müsste dies der Anfechtungsgegner beweisen. Der Anfechtungsgegner müsste also die Kenntnis des Anfechtenden vom Anfechtungsgrund und den Zeitpunkt der erfolgten Anfechtung darlegen und beweisen. Demgegenüber muss der Anfechtende lediglich substantiiert darlegen, dass er unverzüglich nach Kenntnis angefochten hat. Die entgegenstehende Beweislast trägt dann der Anfechtungsgegner.

 

 

Rechtsfolgen der Anfechtung:

Hat der Anfechtende wirksam seine Erklärung angefochten, ist das Rechtsgeschäft gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an als nichtig anzusehen. 

 

Im Falle eines Inhaltsirrtums, Erklärungsirrtums oder Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft, ist allerdings der Anfechtende dem Vertragspartner gegenüber gemäß § 122 Abs. 1 schadensersatzpflichtig. Danach hat der Anfechtende dem Vertragspartner den Schaden zu ersetzen, den der andere oder der Dritte dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere oder der Dritte an der Gültigkeit der Erklärung hat.

 

Der Umfang des Schadensersatzanspruches beschränkt sich daher auf den Vertrauensschaden, d. h.  die Nachteile, die durch das Vertrauen auf die Gültigkeit entstanden sind (sog. „negatives Interesse“). Er umfasst beispielsweise die aufgewandten Kosten, die im Vertrauen auf die Gültigkeit des Geschäftes entstanden sind. Der Schadensersatzanspruch wird allerdings durch das „Erfüllungsinteresse“ nach oben begrenzt. 

 

 

Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung:

 

Gemäß § 123 Abs. 1 BGB kann eine Willenserklärung auch angefochten werden, sofern eine „arglistige Täuschung“ oder „widerrechtliche Drohung“ vorgelegen hat.

 

 

Arglistige Täuschung:

Eine Täuschung kann beispielsweise durch Vorspiegeln oder Entstellen von Tatsachen erfolgen oder aber durch das Verschweigen offenbarungspflichtiger Tatsachen.

 

Beispiel:

 

-        Angabe eines falschen Kilometerstandes beim PKW-Verkauf

-        wahrheitswidrige Behauptung eines erfolgreichen Studienabschlusses

-        Verschweigen eines Unfallschadens beim PKW-Kauf

-        Verschweigen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, die die Leistungsfähigkeit auf dem zukünftigen Arbeitsplatz ausschließt oder    

         erheblich beeinträchtigt.

 

Die Täuschung muss dabei „arglistig“ sein. Der Handelnde muss also die Unrichtigkeit seiner Angaben kennen oder zumindest für möglich halten. Es genügt, wenn der Handelnde, obwohl er mit der möglichen Unrichtigkeit seiner Angaben rechnet, ins Blaue hinein unrichtige Behauptungen aufstellt.

 

 

Widerrechtliche Drohung:

Drohung ist das in Aussicht stellen eines künftigen empfindlichen Übels. Sie muss den Erklärenden in eine Zwangslage versetzen. Als Übel genügt dabei jeder Nachteil. Er kann sich auf den Bedrohten selbst beziehen, aber auch auf eine andere Person. 

 

Dieses Übel muss nach der abgegebenen Erklärung vom Willen des Drohenden abhängig sein.

 

Die ausgesprochene Drohung muss zusätzlich „widerrechtlich“ sein. Dabei unterscheidet man:

 

-        Widerrechtlichkeit des Mittels

-        Widerrechtlichkeit des Zwecks

-        Widerrechtlichkeit der Zweck-Mittel-Relation

 

 

Widerrechtlichkeit des Mittels:

 

Bei Drohung mit einem rechtswidrigen Verhalten, ist die Willensbeeinflussung widerrechtlich, auch wenn sie der Durchsetzung eines bestehenden Anspruches dient.

 

 

Beispiel:

 

Drohung mit körperlicher Gewalt, sollte der Gläubiger den fälligen Kredit nicht zurückzahlen.

 

 

Widerrechtlichkeit des Zwecks:

 

Die Willensbestimmung durch Drohung ist auch dann widerrechtlich, wenn der erstrebte Erfolg rechtswidrig ist. Dies ist dann gegeben, wenn der erzwungene Erfolg verboten oder sittenwidrig ist. 

 

 

Beispiel:

 

Arbeitgeber droht mit der Kündigung des Arbeitnehmers, sollte dieser den Arbeitgeber nicht bei einer Steuerverkürzung gegenüber dem Finanzamt unterstützen.

 

 

 Widerrechtlichkeit der Zweck-Mittel-Relation:

 

Die Willensbeeinflussung durch Drohung ist auch dann widerrechtlich, wenn zwar das Mittel und der Zweck für sich betrachtet jeweils nicht anstößig sind, aber ihre Verbindung, also die Benutzung dieses Mittels zu diesem Zweck, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.

 

 

Beispiel:

 

Arbeitnehmer verlangt eine Gehaltserhöhung und droht andernfalls dem Arbeitgeber damit, dessen außereheliches Verhältnis der Ehefrau des Arbeitgebers zu offenbaren.

 

 

Anfechtungsfrist bei widerrechtlicher Drohung/arglistiger Täuschung:

Im Falle einer arglistigen Täuschung bzw. widerrechtlichen Drohung, muss die Anfechtung der anfechtbaren Willenserklärung innerhalb eines Jahres gemäß § 124 Abs. 1 BGB erfolgen.

 

Gemäß § 124 Abs. 2 BGB beginnt die Frist im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt. 

 

Allerdings ist die Anfechtung gemäß § 124 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung 10 Jahre verstrichen sind.

 

Im Falle der widerrechtlichen Drohung beginnt die Jahresfrist zur Anfechtung gemäß § 124 Abs. 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört. 

 

Auch in diesem Falle der widerrechtlichen Drohung ist gemäß § 124 Abs. 3 BGB die Anfechtung jedoch dann ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung 10 Jahre verstrichen sind.

 

 

Rechtsfolgen der Anfechtung:

 

Im Falle der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung ist ebenfalls gemäß § 142 Abs. 1 BGB das Rechtsgeschäft von Anfang an als nichtig anzusehen. 

 

Eine Schadensersatzverpflichtung des Anfechtenden besteht in diesem Falle – anders als beim Erklärungsirrtum, Inhaltsirrtum oder Eigenschaftsirrtum – allerdings nicht.